Fantasie beseelt die Luft

Pinupuno ang hangin ng hiwatig
The imagination peoples the air 

Ehrengast Thema

Der Ehrengastauftritt der Philippinen auf der Frankfurter Buchmesse steht unter dem Motto Fantasie beseelt die Luft. Dieses Zitat stammt aus dem Roman Noli Me Tangere, den Jose Rizal 1887 in Deutschland schrieb, genauer aus dem Kapitel über Sisa. Der vollständige Satz der englischen Übersetzung lautet:

Fantasie beseelt die Luft
mit Gespenstern

und wurde von Charles Derbyshire aus dem spanischen Original ins Englische übertragen. Im besagten Abschnitt des Romans sucht die verwirrte Mutter Sisa nach ihren beiden Söhnen Crispin und Basilio, von denen einer geschlagen und der andere des Diebstahls beschuldigt wird.

Später stirbt sie in einem Wald und wird von Basilio begraben. Die eindrückliche Szene schildert, wie sie bis tief in die Nacht auf ihre Söhne wartet. Dabei irren ihre Gedanken rastlos umher und das Geheul eines schwarzen Hundes erschreckt sie bis ins Mark. Rizal beschreibt eine flirrende Dunkelheit, eine Nacht voller Glauben und Beschwörung. „Die Nacht fördert die Einbildungskraft, und bald sieht man überall Gespenster.“ Diese Gespenster kriechen in ihren Körper. „Aber plötzlich spürte sie, wie sich ihr Haar sträubte, und ihre Augen öffneten sich unnatürlich weit: Täuschung oder Wirklichkeit, sie sah Crispin beim Herd stehen.“

Derbyshire übersetzt das spanische imaginación mit dem englischen Wort imagination im Sinne von Einbildungskraft. Angesichts von Sisas Leben als verzweifelte, aber entschlossene Frau wird es jedoch eher um eine instinktive Vorahnung gehen und weniger um Einbildungskraft. Daher scheint der philippinische Ausdruck hiwatig wesentlich zutreffender zu sein, weil er Begriffe wie Vorwarnung, Instinkt, Vorahnung und Verdacht einschließt. Damit öffnet er sich für eine übernatürliche Ebene und bezieht sich nicht ausschließlich auf menschliche Wesen, sondern auch auf andere Spezies und mystische Gestalten.

Die Poesie als Quelle von Fantasie und Spekulation macht hier die Stärke des Buches aus. Das Substantiv people / Menschenwird zu einem Verb, das für das Besiedeln und Ausgestalten der Atmo- sphäre steht. In dieser Konstellation treffen Natur und Geschichte, Ethos und Ökologie wunderbar aufeinander. Die Schlüsselbegriffe Fantasie, Menschen und Luft im englischen Motto The imagination peoples the air spielen allesamt auf den Kontext des Lesens und Schreibens an: die Verfasser*innen und Adressat*innen von Texten, das Talent des eigenständig lesenden und schreibenden Individuums und die Gemeinschaft, die von der Wirkung (air) inspirierender Bücher angezogen wird. Für Philippiner*innen sind Bücher vor allem ein Symbol des Teilens und des gemeinsamen Wunsches, an der Welt der Geschichten, Ideen, Mythen, Fantasien und der Zukunft teilzuhaben. Der Ehrengastpavillon wird den Raum und die Atmosphäre für dieses Teilen bieten: demokratisch, wegweisend, mutig, kommunikativ, von Fantasie beseelt, ein Ansporn zum Handeln durch Vorahnung.

Die Philippinen werden ihren Ehrengast-Pavillon auf der Frankfurter Buchmesse 2025 mit Begeisterung und Zuversicht präsentieren. Diese Begeisterung basiert auf der Tatsache, dass die Buchmesse weit mehr als eine Reise- oder Handelsmesse darstellt und daher kein bloßes Marketinginstrument ist, das einfache und oberflächliche Themen werbegerecht für die Allgemeinheit aufbereitet. Ziel ist es vielmehr, philippinische Bücher einschließlich ihrer Übersetzungen mit Sorgfalt, Verstand, Stil und intellektueller Würde zu fördern und die Welt an der bewegten Geschichte der Autor*innen und ihrer Leserschaft, der Lese- und Schreibkompetenz und der Literatur des Landes sowie dem gegenwärtigen kulturellen Niveau teilhaben zu lassen.

Dieser sensible Ansatz prägt das Konzept der Philippinen als Ehrengast im elementaren wie im übertragenen Sinne, ohne dabei die Freude und Dynamik der Messe als Treffpunkt von Verleger*innen, Buchliebhaber*innen und einem breiten Publikum aus den Augen zu verlieren. Die Vision manifestiert sich durch die lebendige Präsenz der Menschen, die im Pavillon gemeinsam Bücher lesen.

In diesem Kontext sind die mündlichen Überlieferungen der Philippinen von zentraler Bedeutung, da sie die Vorherrschaft der Schriftkultur herausfordern. Der Pavillon wird sowohl die Lesekompetenz als auch die mündlichen Traditionen der Philippinen in den Vordergrund stellen, die Literatur der Stimme und die des Wortes.

Darüber hinaus sind sich die Philippinen der historischen Verantwortung ihrer Ehrengastrolle voll bewusst, indem sie einen notwendigen genealogischen Brückenschlag zwischen den Philippinen und Deutschland vollziehen. Das Bindeglied ist kein Geringerer als Jose Rizal, Nationalheld, außergewöhnlicher Schriftsteller, Leser, Universalgelehrter und Inspiration für zahllose Philippiner*innen, die zeitgleich mit ihm geschrieben und ihn in revolutionären und anderen Zeiten gelesen haben. Rizals Auseinandersetzung mit Deutschland und namhaften deutschen Persönlichkeiten ist Teil dieser Rahmensetzung, ebenso wie Rizals Beziehung zu seiner Heimat und seinem Exil. Diese rief im 19. und 20. Jahrhundert in Südostasien eine internationale Solidarität hervor und sorgte für die notwendige Resonanz in der heutigen philippinischen Diaspora. Dieser Kontext ist ein wichtiger Ausgangspunkt für die Gestaltung von Ausstellungen und weiterführenden Projekten in Heidelberg, wo Rizal studierte, in Berlin, wo Noli Me Tangere veröffentlicht wurde, und in Frankfurt, wo die Buchmesse stattfinden wird.

Patrick Flores
Kurator des philippinischen Ehrengast-Pavillons

Das visuelle Erscheinungsbild
The imagination peoples the air logo.color paletteGlyphs

Visuelle Identität von Dino Brucelas

Das visuelle Erscheinungsbild folgt dem Motto Fantasie beseelt die Luft und bringt damit zum Ausdruck, dass der Akt des Vorstellens abstrakte grafische und geometrische Formen lebendig werden lässt. Sich etwas vorzustellen bedeutet, Ideen, Visionen und Empfindungen zu formen, bis ein Bild konkret wird.

Bücher werden von Fantasie beflügelt, insbesondere solche, die die Grenzen der philippinischen Literatur erweitern. Das Spektrum reicht von Sagen über außergewöhnliche Wesen, die mündlich überliefert wurden, bis hin zur Neubearbeitung vorkolonialer Mythen für ein heutiges Publikum. Das Logo „hebt ab“, wobei auch die Buchstaben diesem aufsteigenden Winkel folgen und so an das gemeinschaftliche Vorwärtsstreben der Nation erinnern. Das Hauptlogo stellt diesen Prozess durch ein aufsteigendes Raster dar, das sich vom linken, noch durchscheinenden Rand nach rechts oben allmählich zu einer klaren Form verdichtet – ähnlich wie die Vorstellungskraft, die uns gedanklich in luftige Höhen hebt.

Die 135 Punkte des 9 x 15 Rasters lassen sich als Elemente der Vorstellungskraft verstehen. Aus einem formlosen Zustand heraus finden sie ihren angestammten Platz und fügen sich zu einer klareren Struktur zusammen.

Das Idee des Rasters basiert auf drei Inspirationsquellen: dem Buchdruckverfahren des 19. Jahrhunderts aus der Zeit, als Noli entstand, dem Rasterdruck, bei dem Bilder in Punkte zerlegt werden, um ein Ganzes zu formen, und den Pixeln, die wir auf den Bildschirmen vieler heutiger Geräte finden.

Das Buchdruckverfahren inspirierte auch die Schriftarten, die für das visuelle Erscheinungsbild des philippinischen Ehrengast-Auftritts verwendet werden. Neue Haas Grotesk und Adobe Jenson Prosind Annäherungen an die Schriftarten, die für den ersten Druck von Noliverwendet wurden. Neue Haas Grotesk oder Helvetica basieren wiederum auf der berühmten Schriftart Akzidenz-Grotesk aus dem 19. Jahrhundert, die um die 1890er Jahre in Gebrauch war. Die Serifenschrift Adobe Jenson kombiniert Schriftarten aus der Renaissance, die von Nicolas Jenson und Ludovico degli Arrighi geschaffen wurden.

Das Farbschema des visuellen Erscheinungsbilds geht ebenfalls auf die literarische Quelle des Mottos zurück und spiegelt Rizals Beschreibungen lebhafter Farbtöne in den Schauplätzen und Figuren seines Romans wider. Mit Ausdrücken wie „Der Sand bestand aus Goldstaub und Steinen“, „Der blaue Himmel glich einer frischen Brise“ oder „Die grünen Reisfelder“ erweckt Rizal seine Philippinen zum Leben und die Schilderungen verschmelzen zu einem kraftvollen literarischen Werk.

Letztlich umfasst das visuelle Erscheinungsbild auch Schriftsymbole, die als spielerische Darstellung der Vorstellungskraft interpretiert werden können und zugleich auf die kulturelle Vielfalt der Philippinen hinweisen.

Diese sind von der Baybayin-Schrift inspiriert, einem alten Schreibsystem, das die philippinische Bevölkerung vor der spanischen Kolonialisierung verwendete. Die Symbole stellen Figuren oder Objekte dar, die in Noli eine zentrale Rolle spielen. Vorbild dafür ist das Schreibsystem, das die Romanfigur Philosoph Tasio für künftige Generationen erfindet und mit den Worten kommentiert: „Die Generationen dagegen, die diese Zeichen entziffern kann, wird eine aufgeklärte Generation sein, sie wird mich verstehen und sie wird sagen: ‚Nicht alle haben geschlafen in der Nacht unserer Vorväter!‘“

The glyphs used here come from recognizable images — especially related to the theme. The imagination peoples the air — such as the profile of Sisa, the lightning that becomes a threat to her sons, the belfry that knells for the souls, and the howling dog that Sisa imagines.